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AVIVA-BERLIN.de im November 2024 - Beitrag vom 25.05.2022


Die Bilderkriegerin – Anja Niedringhaus. Biopic über die Fotojournalistin und Pulitzer-Preisträgerin. Kinostart: 26. Mai 2022
Helga Egetenmeier

Nahezu ein Vierteljahrhundert arbeitete Anja Niedringhaus, die auch mit u.a. dem International Women´s Media Foundation Courage in Journalism Award (IWMF) ausgezeichnet wurde, als Kriegsfotografin, bevor sie 2014 bei einem Reportage-Einsatz in Afghanistan ums Leben kam. Sie hatte als Fotografin ihre Aufgabe darin gesehen, ...




... dies zeigt der Film deutlich, die vom Krieg betroffenen Menschen durch ihre Aufnahmen in die Öffentlichkeit zu bringen.

Aus der Fotojournalistin wird eine Kriegsfotografin

Es ist das Jahr 1992, Anja Niedringhaus ist 26 Jahre alt und Fotografin bei der EPA (European Pressphoto Agency). Als politisch interessierte Journalistin lässt es ihr keine Ruhe, dass mitten in Europa, in Jugoslawien, zum ersten Mal nach dem Zweiten Weltkrieg ein Krieg ausgebrochen ist. Der Film beginnt damit, dass Anja Niedringhaus, gespielt von Antje Traue, ihren Agenturleiter immer wieder auffordert, sie dort einzusetzen. Nach mehreren Wochen zahlt sich ihre Hartnäckigkeit aus, und sie bekommt einen Arbeitsauftrag für Jugoslawien.

Bei ihrer Ankunft in Sarajevo erlebt Niedringhaus ähnliches, wie die Kriegsfotografin Lee Miller im Jahr 1944, als diese über den Feldzug der Westalliierten zur Befreiung Europas vom Nationalsozialismus berichtete. Sie muss sich als Frau, auch wenn inzwischen fünfzig Jahre vergangen sind, in dieser männerdominierten Welt ihren Platz erobern. Der Kollege, den Niedringhaus ablöst, das wird im Film deutlich, empfängt sie spöttisch und entsetzt. Dass seine Agentur eine Frau, dazu noch so jung, an diesen gefährlichen Ort zum Arbeiten schickt, versteht er nicht.

Doch Anja Niedringhaus lernt schnell, wie eine Fotojournalistin in einem Kriegsgebiet überlebt. Eine schusssichere Weste gehört ebenso dazu, wie, immer wachsam zu bleiben. Anfangs fällt es ihr schwer, Bilder vom Krieg zu machen. Erst als sie ihren Zugang zu den Menschen findet, deren Leben der Krieg zerstört, kann sie fotografieren. Sie entwickelt ihre eigene Bildsprache, für die sie mehrfach ausgezeichnet wird, und dokumentiert das Leben, dass die Menschen im Krieg führen.

Eine Entscheidung für den Beruf und gegen ein Privatleben

Der Film "Die Bilderkriegerin", der sie als Fotografin in Kriegs- und Krisengebieten in den Mittelpunkt nimmt, zeigt auch, dass es für sie ein privates Leben abseits gefährlicher Orte gab. Aber, so erklärt sie im Film, sie hat sich für ihren Job und gegen eine eigene Familie entschieden. Denn beides gehe bei solch einem Beruf nicht zusammen. Wir sehen sie dennoch unbeschwert, wie sie eine innige Zeit mit ihrer Schwester und Nichte in Kaufungen, einem idyllischen Ort in der Nähe von Kassel, verbringt. Sie könnte sich dort auch niederlassen, für ihre Schwester ist sie ein Teil ihrer Familie. Doch Niedringhaus genießt diese Normalität eines Alltags ohne Angst nur kurz, kuriert ihre Verletzungen aus, bevor sie für ihren nächsten Auftrag wieder aufbricht.

Kriegsbilder als Dokumente, um die Welt wachzurütteln

Nach ihrem Einsatz in Jugoslawien ist die Fotografin viel unterwegs. So fliegt sie nach 9/11 nach New York, um die Folgen der Terroranschläge zu fotografieren. Ab 2002 arbeitet sie für die amerikanische Nachrichtenarchitektur Associated Press (AP) und geht für sie nach Afghanistan und Kuwait. 2003, als die USA im Irak einmarschieren - der Film zeigt hier Dokumentarmaterial mit dem damaligen US-Präsidenten George W. Busch - begleitet sie im Rahmen einer Embedded-Mission amerikanische Streitkräfte. Für diesen fotografischen Einsatz erhält sie, zusammen mit fünf männlichen Kollegen, im April 2005 als erste deutsche Frau den Pulitzer Preis.

Fotografieren bedeutet für Anja Niedringhaus, wie auch für andere Kriegsfotografinnen, wie Gerda Taro und Eva Besnyö, den Schrecken von Krieg bekannt zu machen. Indem den anonymen Opfern ein Gesicht geben wird, werden ihre Fotografien ein Statement gegen den Krieg. Niedringhaus erhält dafür im Oktober 2005 den "Courage in Journalism Award", vergeben von der International Women´s Media Foundation (IWMF).

Nachdem der Film die Fotografin zu Beginn als ernste, willensstarke, Frau gezeigt hat, wirkt es etwas überzeichnet, sie ausgelassen scherzend und lachend durch die Bergwelt Afghanistans fahren zu lassen. Dort stirbt Anja Niedringhaus am 4. April 2014, als sie mit der befreundeten AP-Chefkorrespondentin Kathy Gannon über die Präsidentschaftswahlen in Afghanistan berichten wollte. Beide wollten durch ihre Fahrt aufs Land zeigen, dass die Menschen, trotz der Bedrohung durch die Taliban, zur Wahl gehen. In einer gut bewachten Polizeistation eröffnet ein Offizier das Feuer auf sie, Anja erliegt ihren Verletzungen, während Kathy schwer verletzt überlebt.

AVIVA-Tipp: Journalismus, wie Anja Niedringhaus ihn gelebt hat, ist eine Leidenschaft und Berufung, die auch in ihren mehrfach ausgezeichneten Bildern zu spüren ist. Als Kriegsfotografin galt ihre Zuneigung den Menschen, die mit dem Krieg leben mussten. Der Film zeigt, wie die Fotojournalistin sich in einem der gefährlichsten Berufe der Welt, dafür einsetzt, die Wahrheit zu zeigen. Von erschreckender Aktualität, verweist der Film dabei auf die Bedeutung von unverfälschten Aufnahmen, für die Journalist*innen, wie Anja Niedringhaus, ihr Leben aufs Spiel setzen. Gerade deshalb ist es ein wichtiger Anti-Kriegsfilm.

Biografie Anja Niedringhaus
Anja Niedringhaus, geboren am 12. Oktober 1965, in der westfälischen Kleinstadt Höxter, fotografierte bereits als Schülerin für die Schülerzeitung des König-Wilhelm-Gymnasiums, und dann als freie Mitarbeiterin bei der Lokalzeitung Neue Westfälische. Sie ging nach dem Abitur 1986 für die Kindernothilfe nach Indien. Im Anschluss studierte sie an der Universität Göttingen Germanistik, Philosophie und Publizistik und schrieb und fotografierte gleichzeitig für das Göttinger Tageblatt. Ihre Bilder vom Berliner Mauerfall verhalfen ihr 1990 als erster Frau zu einer Festanstellung bei der European Pressphoto Agency, sie wurde dort später Cheffotografin. Nach zwei Jahren als Agenturfotografin, reiste sie in den gerade ausgebrochenen Krieg nach Jugoslawien. In den darauffolgenden Jahren wurde sie an unterschiedlichen Einsatzorten mehrfach verletzt. So erlitt sie in Kandahar 2010 durch Granatsplitter bei einer Bombardierung schwerste Verletzungen. Sie wechselte 2002 zu der US-amerikanischen Nachrichtenagentur Associated Press und reiste für ihre Arbeit in Konfliktgebiete, wie Afghanistan, Libyen und Kuwait, fotografierte aber auch bei Großereignissen des Sports, wie den Olympischen Spielen. Sie wurde am 4. April 2014 bei einem Attentat in Afghanistan erschossen.
(Quelle: Forum Anja Niedringhaus)

Auszeichnungen von Anja Niedringhaus
1999 Fuji European Press Award
2000 Auszeichnung der American Press Photographers´ Association
2003 Award of Excellence bei Photos of the Year International (POYi)
2003 Premio Ischia Internazionale di Giornalismo
2005 Pulitzer-Preis
2005 International Women´s Media Foundation Courage in Journalism Award (IWMF)
2008 Goldene Feder (Medienpreis der Bauer Mediengruppe)
2011 1. Preis beim Abisag-Tüllmann-Preis

Zum Regisseur: Roman Kuhn, Fotograf, Produzent und Regisseur, arbeitete zuerst als Art Direktor in Werbeagenturen, bevor er sich Musikvideos und Werbefilmen zuwandte. Er beschäftigte sich mit Computeranimation und der Entwicklung der digitalen Filmbearbeitung und drehte den Olympia Bewerbungsfilm für Berlin. Er war Dozent an der Folkwangschule in Essen, und an der Kunstakademie in München. 1999 entstand sein erster Fernsehfilm "Die Schläfer“ als Autor, Regisseur und Produzent. Er war Produzent des Kino-Dokumentarfilms "A Woman and a Half – Hildegard Knef“ (2001) über das Leben von Hildegard Knef, der für den Bundesfilmpreis nominiert war.

Zur Hauptdarstellerin: Antje Traue, geboren 1981, begann bereits in ihrer Schulzeit als Schauspielerin auf der Schulbühne. Mit sechzehn Jahren wurde sie am Musiktheater des International Munich Art Lab für das Hip-Hop-Musical "West End Opera" in der Hauptrolle besetzt. In der Folge stand sie für vier Jahre in der Rolle der "Vivienne" mit dem Ensemble auf der Bühne und tourte durch ganz Deutschland, Europa und bis nach New York. 2002 setzte sie in Berlin ihre Schauspielausbildung fort und wirkte in mehreren Kino- und Fernsehfilmen mit, wie in der Filmkomödie "Kleinruppin forever" (2004), "Seventh Son" (2012) mit Julianne Moore und Jeff Bridges und "Das Jerico Project" (2016) mit Kevin Costner und Ryan Reynolds.

Die Bilderkriegerin – Anja Niedringhaus
Deutschland, 2022
Regie: Roman Kuhn
Dokumentarregie: Sonya Winterberg
Darsteller*innen: Antje Traue, Michele Cuciuffo, Dulcie Smart, u.a.
Verleih: Salzgeber
Lauflänge: 91 Minuten
Kinostart: 26. Mai 2022
Webseite: www.salzgeber.de

Mehr Infos unter:

www.iwmf.org
Am 18. Juli 2012 veröffentlichte International Women´s Media Foundation auf ihrer Webseite “Reporting From The Front Lines Of War: An Interview with Anja Niedringhaus and Kathy Gannon.

www.iwmf.org
Die International Women´s Media Foundation verlieh im Oktober 2005 den IWMF Courage in Journalism Award an Anja Niedringhaus. Diese Webseite enthält, neben einem Bericht zur Verleihung, auch ein Video mit der Preisverleihung, einer Kurzbiografie, und der Dankesrede von Anja Niedringhaus.

www.pulitzer.org
Sie gewann, gemeinsam mit ihren männlichen Kollegen von AP (Associated Press), im Jahr 2005 als erste Frau aus Deutschland, den Pulitzer Prize in der Kategorie Breaking News Photography. Die Auszeichnung erhielten sie "For its stunning series of photographs of bloody yearlong combat inside Iraqi cities.“, so die Begründung auf der Webseite.

www.forum-anja-niedringhaus.de
Das Forum Anja Niedringhaus hat in Höxter eine kulturelle Einrichtung geschaffen, um im Andenken an die ermordete Fotografin die "künstlerischen und wissenschaftlichen Auseinandersetzungen mit Ursachen und Folgen von Krisen, Konflikten und Kriegen, von Flucht und Migration“, anzuregen.

www.iwmf.org
Die Internationale Stiftung für Frauen in den Medien vergibt den Anja-Niedringhaus-Preis für Mut im Fotojournalismus seit dem Jahr 2014, der jährlich an Fotojournalistinnen vergeben wird, "whose work reflects courage and dedication, as Anja´s does“, so die Beschreibung des mit 20.000 Dollar Preisgeld versehenen Auszeichnungen.

Weiterlesen auf AVIVA-Berlin:

Die Erfindung der Pressefotografie. Aus der Sammlung Ullstein 1894-1945
Bilder haben Macht, und damals wie heute tragen Fotografinnen und Fotografen Verantwortung. Katalogpublikation und Ausstellung dokumentieren die Entstehung des neuen Mediums der illustrierten Presse und zeigen anhand der publizierten Fotos den Wandel von Stilen wie Machtverhältnissen. (2017)

Lee Miller - Krieg. Reportagen und Fotos
Als sie 1944 als Kriegskorrespondentin für die Vogue nach Europa ging, war sie bereits eine Größe im New Yorker Jetset. Miller war Top-Model, Partylöwin, Künstlerin und Meisterfotografin. Ihre Fotos und Reportagen über die "Krauts" machten sie zum neuen Star des Journalismus. (2016)

Margaret Bourke-White. Fotografien 1930-1945.
Sie war in vielem die Erste: Die Pionierin des Fotojournalismus sah sich als "Auge ihrer Zeit". Sie war die Frau, die im 2. Weltkrieg auf amerikanischer Seite mitfliegen und -schwimmen durfte, die erste Frau, die Fotos von Stahlwerken, Generatoren, Maschinen und Material machte und als Industriefotografin Erfolg hatte. (2013)

Martha Gellhorn - Das Gesicht des Krieges. Reportagen 1937-1987
Unerschrocken und mutig wie ihre Texte sind auch die selbstkritischen Kommentare, mit denen die Kriegsreporterin Martha Gellhorn die Gesamtausgabe ihrer Zeitungsbeiträge versah. Als vollkommen naiv stellt sie sich selbst in jungen Jahren dar, als unbedarfte Schriftstellerin, die ohne große Vorbereitung nach Europa ging, um für eine amerikanische Zeitung aus dem Spanischen Bürgerkrieg zu berichten. (2012)

Monika Hauser - Ein Porträt. Frauenrechte sind Menschenrechte.
Monika Hauser, Gründerin von medica mondiale und Trägerin des Alternativen Nobelpreises, beschreibt in diesem Dokumentarfilm-Portrait von Evi Oberkofler und Edith Eisenstecken, wie sie zur Kämpferin für die weltweiten Menschenrechte von Frauen wurde. Ihr Engagement im Bosnienkrieg, ihre Kindheit in den Alpen, und ihr heutiger Einsatz für die Ächtung vom Krieg gegen die Frauen sind die Stationen, die der Film in den Fokus nimmt. (2018)

Djeca – Kinder von Sarajewo
Zwar jagen nunmehr keine Scharfschützen die Menschen durch die Straßen, doch der Überlebenskampf geht weiter: Aida Begic zeichnet das bewegende Porträt zweier Waisenkinder im täglichen Kampf gegen die Mühlen der Korruption und Kriminalität in Bosnien-Herzegowina, fast zwei Jahrzehnte nach der 1425 Tage währenden Belagerung von Sarajevo. (2014)

Judith Butler - Raster des Krieges. Warum wir nicht jedes Leid beklagen
In fünf Essays, die zwischen 2004 und 2008 in Fachzeitschriften als einzelne Aufsätze erschienen sind, beschäftigt sich und kommentiert Butler den Krieg und seine sichtbaren Bedingungen. Butlers Politik der Anerkennung führt die Gedanken ihrer letzten Texte und Vorträge fort. Sie setzt den Fokus auf eine normative Verpflichtung zur Gleichstellung und Erfüllung menschlicher Grundbedürfnisse, wie Nahrung, Zuflucht, Mitspracherecht, Beschäftigung und die Gleichverteilung von Gewaltrisiken. (2010)


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Beitrag vom 25.05.2022

Helga Egetenmeier